Wer einmal jenseits von Rittergut und Kirche den kleinen Friedhof
durch das Pförtchen zur Mulde hin verlässt, der steht unversehens
am Steilhang hoch über der Mulde, zur Linken die noch beachtlichen
Mauern des Souterraingeschosses vom ehem. Herrenhaus und der Blick über
das abfallende Vorgelände hin zum Muldewehr via Trebsen. Ein „Hochsitz“,
wie ihn flussauf nur der schicksalhaft verbundene Burgberg Döben bietet
und wenig flussab nochmals die „Loreley“, jene Blickkante vom alten Sonnenmühlwall
bei Oelschütz. Sämtlich Plätze überm Prallhang der
in großem Bogen umgelenkten Mulde, seit alters ob ihrer Lagegunst
genutzt und gepriesen. Und wer dann noch den unteren Gutshof betritt, konnte
sich bis vor wenigen Tagen eines beispielhaft sanierten Ensembles erfreuen,
beherrscht vom barocken Kuhstall, einem langestreckten Wohnstallgebäude
mit Kreuzgewölben und toskanischen Säulen, dessen mächtiger
Dachstuhl von 1704 stammte, aus dem Jahr des letzten Großbrandes
von Obernitzschka – und nun abermals durch Brand verloren ist. Besonders
schlimm, dass es eine so eindrucksvoll zurückgewonnene Anlage wie
das ehemalige Rittergut Obernitzschka betrifft. Zutiefst bedroht, wenn
nicht zunichte, sind vieljährige Arbeit, die Mühen des Vereins
zur Förderung umweltbewussten Handelns Wurzen e.V., der sich des durch
die Bodenreform verlorenen Platzes angenommen hat. Eines Platzes, dessen
„Seele“ durch SMA-Befehl vom 7. Oktober 1947 verlorengegangen ist: das
Herrenhaus Obernitzschka wurde zum Abriss und als Steinbruch für Neubauernhäuser
bestimmt. Von des Dichters Siegfried August Mahlmanns Alterssitz blieb
nur das bald mit Müll verfüllte Souterraingeschoss, ein wie Schloss
Döben ausgeräumter Platz, doch ohne nach 1990 rückkehrende
Eigentümer, herrenlos. Umso höher zu schätzen ist die im
ehemaligen Rittergut Nitzschka überall zu spürende Mühewaltung
„Fremder“, die ihre Liebe und Kraft diesem Ort zugewandt, 1998 mit der
Beräumung des Souterraingeschosses und der Gestaltung seiner Terrasse
begonnen haben, Kuhstall und Museumscafé ausbauten und heute eine
im Ganzen vorbildlich gepflegte, vielerorts mit Informationen versehene,
flach ummauerte Anlage über der Mulde der Öffentlichkeit erschlossen
haben. Umso bestürzender der verheerende Brand. Das Schlimmste wäre,
wenn solch blindwütiges Ereignis den Vereinswillen bräche und
Obernitzschka erneut auf dem Spiel stünde. Mögen eine dankbare
Öffentlichkeit und alarmierte Politik alle nur denkbare, vor allem
rasche unbürokratische Hilfe geben.
Der Verfasser hat 1993 einen Band über „Rittergüter &
Schlösser im Leipziger Land“ herausgegeben. Unter den damals ausgewählten
24 Anlagen war Nitzschka nicht, in der nun Ende November neu erscheinenden,
auf 36 Burgen, Schlösser, Herrenhäuser im Leipziger Umfeld erweiterten
Auflage, darunter ein Dutzend aus dem Muldentalkreis, hat es seinen festen
Platz gefunden. Bildlich mit einer Lithographie aus der Mitte des 19. Jahrhunderts
– dem Blick über die Mulde und Kahnfähre auf das hochgelegene
Herrenhaus und die Kirche, zur Rechten das hohe Walmdach des Kuhstalls.
Weiteres Schlössersterben droht heute nach anderthalb Jahrzehnten
Leerstand, wovon etwa die Hälfte aller ehemaligen Herrensitze in Sachsen
betroffen ist. Nur wenige Objekte konnten von der Sächsischen Schlösserverwaltung
übernommen und als Staatliche Schlossbetriebe in wirtschaftliche Selbstständigkeit
geführt werden, so die Burgen Gnandstein, Kriebstein, Leisnig und
Schloss Rochlitz. Wie weiter mit den vielen anderen Anlagen, die Gemeinden
nicht erhalten können und bislang keine privaten Abnehmer gefunden
haben? Herrenhäuser und Schlösser, neben den Kirchen einst die
absoluten Dominanten im ländlichen Raum, sind nach dem Verlust der
Adelskultur 1945 heute seine mit Abstand größten Sorgenkinder,
sind zum Aschenputtel geworden. „Wenn Sachsen schon unter dem Zwang der
Verhältnisse ein Land ohne Adel geworden ist,“ schrieb der sächsische
Landeshistoriker Karlheinz Blaschke 1995, „so besteht umso mehr die Aufgabe,
die kulturelle Hinterlassenschaft dieses für die sächsische Geschichte
bedeutenden, einst als Führungsschicht wirksam gewesenen Teils der
Gesellschaft zu pflegen und zu bewahren.“ Obernitzschka ist und bleibt
hoffentlich ein ermutigendes Beispiel.
(Sax-Album „Rittergüter und Schlösser im Leipziger
Land“ von Lutz Heydick; 2., erw. Aufl., 136 S., gebunden, 12 x 16,5 cm,
Sax-Verlag, ISBN 978-3-9802997-8-7)
Bildunterschrift: Herrenhaus Obernitzschka, Lithographie, um 1854